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Der Islam in Deutschland

von Hamideh Mohagheghi

H. Mohagheghi

Zur Zeit leben ca. 3 Millionen Muslime in Deutschland. Die größte Anzahl lebt seit ca. 50 Jahren hier, die Anwesenheit der Muslime in Deutschland und die Berücksichtigung ihrer religiösen Lebensweise  hat eine noch längere Tradition. Eine Tradition, die nur wenig bekannt und mehr Gegenstand einiger Geschichtsbücher ist, die nicht sehr viele  Menschen interessieren. Die  Verwirklichung der Möglichkeiten für die religiösen Angelegenheiten, die vor mehr als hundert Jahren selbstverständlich  war, scheint heute manchmal großen Problemen gegenüber zu stehen. 

1. Historischer Werdegang

2. Die Muslime seit den 60er Jahren in Deutschland

3. Der politische Islam

4. Die Muslime in Deutschland heute

 

1- Historischer Werdegang

Die Begegnung mit den Muslimen geht in der Geschichte weit zurück. Schon Karl d. Große( im 8. Jahrhundert) pflegte gute Kontakte zu Baghdad, das damalige Zentrum des islamischen Kalifat. Vor allem waren die Handelsbeziehungen Anlass für freundschaftlichen Austausch von Geschenken und Gesandten. Obwohl in der gleichen Zeit  Karl d. Große gegen die Araber in Spanien Krieg führte, beeinträchtigte dies nicht die gute Beziehung zum islamischen Kalifat in Baghdad .

Im Jahre 1713-1740 wurden dem Preußenkönig (Friedrich Wilhelm der 1.) zwanzig türkische Soldaten zur Verfügung gestellt. Der König ließ für sie in Potsdam einen Saal in der Nähe der neuen Soldatenkirche (Garnisonkirche) als Moschee herrichten. Für ihn war wichtig, dass "seine Mohammadaner" (wie er sie nannte) ihren religiösen Pflichten nachgehen konnten.

Als im Jahr 1740 Friedrich II eine Anfrage vorgelegt wurde, ob in der evangelischen Stadt ein Katholik das Bürgerrecht erwerben dürfe, schrieb er:" Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind; und wenn die Türken kämen und wollten hier im Lande leben, dann würden wir ihnen Moscheen bauen."

Diese Äußerung vor 250 Jahren zeigt die Akzeptanz und den Respekt gegenüber Anhänger anderer Religionen. Wenn sie sich auch für begrenzte Zeit hier aufhielten, war man bemüht, ihnen ihre religiösen Lebensgewohnheiten zu ermöglichen. Die Aussage " Alle Religionen sind gleich und gut", enthält eine wichtige Erkenntnis, die uns allen beim Dialog helfen würde.

Im Jahr 1807 gab es preußisch-deutsche Muslime, die als Soldaten in den Feldzügen des Friedrich des Größen dienten. Preußisch-deutsche Kaufleute, Diplomaten, Forscher, Schriftsteller und Wissenschaftler, die mit Muslimen Kontakt hatten, verstanden sich als "Brücke zwischen Okzident und Orient".

Im Jahr 1898 erklärte Kaiser Wilhelm II in Damaskus dem Sultan, dass in allen Zeiten der deutschen Kaiser der König der Freund des Sultans und der Muhammadaner sein wird. Er löste sein Versprechen im Jahr 1914 ein, indem er eine Moschee für die muslimischen Gefangenen in Wunsdorf bei Zossen(Brandenburg) mit einem 23 Meter hohen Minarett bauen ließ und ca. eine Stunde entfernt davon einen muslimischen Soldatenfriedhof. Diese Moschee diente nach dem ersten Weltkrieg den Berliner Muslimen als erste Gebetsstätte (1924 wurde sie wegen Einsturzgefahr geschlossen und 1925/26 abgerissen.)

Der erste islamische Grundbesitz auf deutschem Boden war ein Friedhof. Als am 29.Okt.1798 der türkische Gesandte und Botschafter am Berliner Hof, Ali-Aziz-Effendi starb, erwarb König Friedrich Wilhelm III ein Gelände in Hasenheide(Blucherstr.), das als Grabstätte dienen sollte. Eigentümer dieses Friedhofes war von Anfang an das osmanische Reich.(Der Friedhof wurde im Jahr 1866 verlegt, gegenüber Demewitz-Friedhof).

Die oben erwähnten Initiativen gingen meistens von Königen aus, die sich für das Wohlergehen ihrer Untertanen verantwortlich fühlten. Es ist beachtlich, dass sie sich so weit in die Situation der andersgläubigen versetzten und ihnen ermöglichten, ihre religiösen Gewohnheiten zu praktizieren. Angelegenheiten, deren Durchführung sich heutzutage teilweise als sehr problematisch darstellt, wie z.B Moscheebau oder Einrichtung muslimischer Friedhöfe, galten scheinbar seinerzeit als eine Selbstverständlichkeit, obwohl die Zahl der Muslime so gering war.

Im Jahr 1922 wurde von Maulana-Sadruddin, einem indischen Imam, die erste organisierte islamische Gemeinde in Berlin gegründet. Zwei Jahre später konnte die Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf eine Moschee eröffnen. Die erste Moschee, die Muslime selbst gebaut haben. Sie war bis 1945 Mittelpunkt des islamischen Lebens in Deutschland.

Das Zentralinstitut Islam-Archiv wurde 1927 in Berlin gegründet und ist bis zum heutigen Tage dort aktiv .

1932 gründeten 60 muslimische Flüchtlinge aus der Sowjetunion gemeinsam mit deutschen Muslimen eine deutsche Sektion des islamischen Weltkongresses in Berlin. Unter deren Dach schlossen sich im Jahr 1933 alle muslimischen Vereinigungen zusammen. Diese Sektion errichtete mit einem "Islam Kolloquium " die erste muslimische Bildungseinrichtung, der auch die Erteilung eines islamischen Religionsunterrichtes an muslimische Kinder übertragen wurde. Das Islam-Kolloquium ist heute Teil des Zentralinstitut Islam-Archiv Deutschland.

Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, ein 1986 eingetragener Verein, bezeichnet sich als Rechtsnachfolger des islamischen Weltkongresses Deutschland.

Laut Statistik lebten Anfang des 20. Jahrhundert (1924) 3000 Muslime in Deutschland, davon waren 260-300 deutschstämmig. Diese kleine Zahl Muslime verfügte über beachtliche Organisationen, die auch teilweise im Bereich Dialog und gegenseitigen Gesprächkreisen unter Intellektuellen, Philosophen und Wissenschaftler aktiv waren. Die hier lebenden Muslime waren meistens Kaufleute, Akademiker, Forscher und Schriftsteller. Auf dieser Ebene fanden natürlich Begegnungen mit andersgläubigen statt. Für die breite Masse der Bevölkerung waren sie Exoten, die man aus 1001 Nacht- Geschichten kannte. Ihre Moscheen und Organisationen waren etwas besonderes, die vor allem unter dem persönlichen Schutz und der Förderung des Kaisers standen. Sie hatten zwar eine andere Religion, aber sie stellten keine Bedrohung für die hiesige Gesellschaft dar.

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2- Die Muslime seit den 60er Jahren in Deutschland

Moschee in Hamburg

Dieses Bild änderte sich nach dem 2. Weltkrieg, als zum Aufbau des zerstörten Nachkriegsdeutschland die ersten „Gastarbeiter“ auch aus der islamisch geprägten Türkei geholt wurden. Menschen, die am Anfang als Arbeitskräfte angeworben waren, Menschen, die man als „Gastarbeiter“ gern gesehen hat. Dieser Begriff könnte so verstanden sein: der Gastgeber war glücklich, diese Menschen als Arbeitskraft für den Aufbau des zerstörten Deutschland gewonnen zu haben, und freute sich aber auch heimlich,  dass der „Gast“ irgendwann nach Hause geht! Der „Gast“ fühlte sich hier als eine Kraft, die gut funktionieren sollte und gut verdienen konnte, um später in seiner Heimat ein besseres Leben zu haben. Diese unausgesprochenen Gedanken ermöglichten ein Leben „nebeneinander“ , ohne viel Interesse für die Lebensweise der anderen zu  zeigen. 

Die Deutschen nahmen zur Kenntnis, dass diese Menschen kein Schweinefleisch essen und kein Alkohol trinken, die erweiterte Information war, dass sie fünfmal am Tag beten und ein Monat im Jahr fasten. Die muslimischen Gastarbeiter bemühten sich, etwas zu essen zu finden, was nicht mit Alkohol und Schweinefleisch in Berührung kam. Nach der Arbeit zogen sie sich möglichst nur mit ihren Landsleuten in die gemeinsamen Räumlichkeiten zurück, damit sie nicht in die Versuchung kamen, die traditionellen Gewohnheiten zu verlieren. So war sein Interesse für das Gastgeberland, seine Menschen und seine Sprache sehr gering. Sie konnten in ihren mitgebrachten Traditionen und Lebensweisen hier weiterleben ohne aufzufallen. Durch die bescheidenen ersten Gebetsräume in den hintersten Ecke der Hinterhöfe Deutschlands haben diese Gastarbeiter ein Stück Heimat in dem ihnen fremden Land aufgebaut. Da sie wenig oder gar keinen Kontakt mit ihren Arbeitskollegen hatten, blieben diese Gebetsräume und die nach und nach aufgebauten Lebensmittelgeschäfte lange Zeit für die deutsche Gesellschaft unsichtbar.

Die ersten auffallenden Bilder brachten die Frauen der Gastarbeiter mit sich. Die kopftuchragenden und oft ungewohnt bunt gekleideten Frauen veränderten das vertraute Bild der Straßen Deutschlands. Frauen, deren Lebensweise und ihre Stellung heute noch zu den meist diskutierten Themen zählt.    

Das Leben dieser Menschen erweckte auf einmal Neugier und vor allem Mitleid, was sich erst in erstaunten Blicken ausdrückte. In der Privatwirtschaft konnten diese Frauen hauptsächlich jene Arbeiten übernehmen, die schwierig zu vermitteln waren, wie z.B. Reinigungsarbeiten.

Im Schoß dieser Frauen wuchs die neue Generation heran, die sich nicht mehr als Gast hier fühlte. Sie waren hier geboren, und durch Schule, Studium und Ausbildung hatten sie mehr, wenn auch noch distanziert, Kontakt mit der deutschen Gesellschaft. Die traditionelle Erziehung und die Ängste, die ihre Eltern gegenüber der immer noch unbekannten Umgebung hatten, führten zu besonderen Verhaltensweisen, die teilweise unverständlich waren. Aus der Basis des eigenen Religionsverständnisses entstandene Verhaltensregeln wie z.B. Ausschluss der Kinder von Klassenfahrten und Nichtteilnahme am Sportunterricht und mangelnder Kontakt außerhalb der Schulzeit mit den Mitschülern waren und sind heute noch auffallende Merkmale der Menschen, die sich Muslime nennen. Die Fragen, die bezüglich dieser Themen auftauchten, brachten die betroffenen Muslime in eine Position der Verteidigung des eigenen Glaubens. Die emotional beladenen Gespräche waren weniger hilfreich für mehr Verständnis füreinander, aber sie waren der Anfang einer neuen Art des Dialoges und des Zusammenlebens.

Der Dialog zwischen Religionen hat in Deutschland eine längere Tradition. Da dieser Dialog meistens auf der Ebene der Theologen und Philosophen stattfand, hatte er wenig Wirkung auf das alltäglichen Leben und die zwischenmenschlichen Beziehungen. So blieb der Islam für die meisten Menschen eine unbekannte Religion, die man jetzt durch die Lebensweise der hier lebende Muslime kennen lernte.

Mittlerweile lebten hier auch über 2 Millionen Muslime. Über 70% von ihnen waren die Gastarbeiter aus der Türkei. Daher ist das geprägte Bild vom praktizierten Islam in Deutschland die Lebensweise dieser Menschen. Eine Lebensweise, die für Menschen hier oft unverständlich, fremd und rückständig erschien.

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3- Der Politische Islam

Die Revolution im Iran Ende der 70er Jahre und die  Bilder in den Medien, die meistens einen furchterregenden und fanatischen Islam darstellten, vermittelten ein neues Bild des Islam und der Muslime, ein politisches. Die Berichterstattungen und die Verallgemeinerungen, dass alle Muslime so denken und handeln und die Verbreitung der Idee, dass die Muslime vorhaben, auf der Welt einen " Gottesstaat" aufzubauen, schürte Bedenken und Angst. Diese Bilder und die Veröffentlichungen, die auf einmal den Markt füllten, vor allem die Bücher von bekannten Personen, die sich als Islam- und Orientkenner darstellten, untermauerten die Ängste. 

Man wurde aufmerksam und skeptisch gegenüber hier lebenden Muslimen und ihren Organisationen, die durch den Anstieg der Zahl der Muslime natürlich zahlreicher und sichtbarer geworden waren. Man sah in jedem Muslim ein potentiellen Fundamentalisten im negativen Sinne und fühlte sich bedroht, dass auch hier in Deutschland ein sogenannter Gottesstaat wie im Iran oder Afghanistan entsteht!

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4-  Die Muslime in Deutschland heute

Alle hier lebenden Muslime geben kein einheitliches Bild ab. Sie sind Individuen, die aufgrund ihrer Erziehung, Bildung und Herkunftsländer unterschiedliche Anschauungen haben. Die junge Generation, die bewusst ihre Religion ausübt, macht sich Gedanken und nutzt die Chance, außerhalb der Grenzen der traditionellen Tendenzen eigene Wege zu finden. Für sie ist, entweder durch deutsche Staatsbürgerschaft, oder aufgrund des langjährigen Aufenthalts, Deutschland zum Heimatland geworden.

Von den ca. 3 Millionen Muslimen, die zur Zeit in Deutschland leben, werden in Zukunft mehr und mehr Staatsbürger dieses Landes sein, wobei schon heute ca.250000 deutschstämmige Muslime in Deutschland gezählt werden. Sie sind Bürger dieses Landes, und gemäß den Bestimmungen der Verfassung sind sie berechtigt, nach ihrem Glauben zu leben. Laut Art. 4. 1 des Grundgesetzes „..die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Und im gleichen Art. heißt es: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ In diesem Sinne haben schon die Könige und Kaiser gehandelt. Es ist zu überlegen, warum in unserer Zeit, trotz der räumlichen Annäherung der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen  und der Informationsflut über andere Menschen, immer wieder Schwierigkeiten bereitet, wenn Menschen nach ihrem Glauben leben möchten.

Für viele Muslime, die in Deutschland leben,  ist es  eindeutig, dass sie ihre Religion unabhängig von Traditionen überdenken und neu entdecken müssen.

Seit einigen Jahren ist das Interesse und die Bereitschaft, sich gegenseitig zu öffnen und mehr von einander zu wissen, auf allen Seiten größer geworden. Dies zeigt sich in den persönlichen Begegnungen und den verschiedenen Arbeitskreisen, aber auch in der Wahrnehmung der religiösen Praktiken, Rituale und Feste der anderen Religionen. Gemeinsame multireligiöse Gottesdienste und Gratulationen zu den verschiedenen Anlässen sind sehr wichtige Schritte zur Annäherung.  Diese sind Schritte, die die Partizipation der Muslime in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft ermöglichen. Dennoch ist ein reibungsloses und  vorurteilsfreies Leben mit einander noch nicht zu einer Normalität geworden

Die verheerenden Ereignisse am  11. September und deren Folgen brachten  eine Änderung in diese Entwicklung, die sowohl negativ als auch positiv zu sehen ist:

Negativ an dieser Entwicklung ist , wie oft zu hören , dass sich die Situation der Muslime im Westen drastisch geändert hat. Die Berichte über die verächtlichen Äußerungen gegenüber den Muslimen und auch die Übergriffe sind bis heute zahlreich. Obwohl diese nachgelassen haben, spüren die Muslime, dass sie mit anderen Augen gesehen und beobachtet werden. Die zahlreichen Medien in unserer Zeit spielen eine entscheidende Rolle in der Bildung der Meinungen, Beurteilungen und Vorurteile. Die passive Konsumierung der Berichte und Faszination der Bilder und Aufnahmen beeinflussen unsere Wahrnehmungen. Daher ist es begrüßenswert, dass neben den zahlreichen negativen Darstellungen auch seit neuem sachliche und objektive Berichterstattungen und Dokumentarfilme, wenn auch in der Zahl sehr bescheiden, zu sehen sind.

In Verbindung mit den Ereignissen vom 11. September werden die Wörter „islamisch „und „muslimisch“ so oft benutzt, dass das Wort „Terrorismus“ und „Terroristen“ ohne dieses Adjektiv unvorstellbar scheint. Dies führt neben den Berichterstattungen dazu, dass die Muslime (die kopftuchtragenden Frauen oder bärtige Männer mit dunklem Teint) nicht selten als verdächtige Personen und potenzielle Terroristen gesehen werden, die nur auf die Gelegenheit warten!  Für die Muslime bedeutet dies: sie müssen ständig beweisen, dass sie ja loyale Mitbürger dieses Landes sind. Auch diejenigen, die seit langer Zeit in Deutschland leben und ihre Loyalität mit ihrer Lebensweise längst praktisch gelebt haben,  werden auf einmal als potenzielle „Verdächtige“ gebrandmarkt. Dies führt zu Unsicherheiten und auch zu Empörungen und verhindert nicht selten ein konstruktives und vertrauensvolles Leben miteinander.  

Die Positive Seite ist, dass in dieser Zeit die Zahl der Veranstaltungen über den Islam sprunghaft gestiegen ist. Diese Veranstaltungen sind wichtige Meilenstein zum gegenseitiges Kennenlernen und mehr von einander erfahren. Von dieser positiven Entwicklung erhoffen wir, dass damit ein Leben in Frieden miteinander erleichtert und gefördert wird, trotz bestehender Unterschiede.

Es kann nicht im Interesse des Dialogs sein, die Unterschiede ausklammern oder Gleichmacherei betreiben zu wollen. Die Religiosität und Überzeugung im eigenen Glauben ist ein wichtiges Fundament im interreligiösen Dialog. Die Überzeugung, dass der eigene Weg der einzig richtige und die einzige Wahrheit ist, gepaart mit der fehlenden Bereitschaft , andersgläubige Menschen mit und in ihrer Religion zu akzeptieren, blockiert leider oft die Bereitschaft, den anderen zuzuhören und damit die Möglichkeit des gegenseitigen Verstehens. Momentan sind die Menschen neugierig und informationsdurstig, es ist zu wünschen und zu hoffen, dass die Gespräche auch sachlich und dienlich verlaufen!  

Die alltäglichen religiösen Praktiken der Muslime in Deutschland, die äußerlich und öffentlich zu sehen sind, bilden das Hauptthema der Diskussionen. Für viele Muslime ist es aber wichtig, auch über andere Themen zu diskutieren, die alle Menschen betreffen. Die Umweltproblematik, die ethischen Werte in der Wissenschaft und Forschung, die soziale Gerechtigkeit und Politik sind u.a. Themen, über die Muslime sich auch mit andersgläubigen Menschen, mit denen sie hier leben, austauschen möchten.

Die meisten Muslime versuchen, sich in diese Gesellschaft zu integrieren. In eine Gesellschaft, die sie zwar als Zuhause betrachten, in der sie jedoch der Minderheit angehören.  Integration kann und darf  aber nicht Assimilation bedeuten und keinesfalls zur  Aufgabe der  eigenen Identität führen. Unser aller gemeinsames Ziel ist es, dass wir miteinander in Frieden und Zufriedenheit leben können. Hierin können die vielfältigen Religionen und Kulturen mit ihren Weisheiten der vergangenen Jahrtausende eine große Hilfeleistung sein.

Einige Erfolge sind in den letzten Jahren erzielt, trotzdem sehe ich einige Punkte, die  unseren Weg der Annäherung erschweren:

 

-        durch verheerende Ereignisse in den sogenannten islamischen Länder und in der Weltpolitik werden die praktizierende Muslime oft  mit den Begriffen Fundamentalismus und Fanatismus konfrontiert.

-        der islamische Religionsunterricht ist immer noch nicht flächendeckend urchführbar, da von beiden Seiten (der Staat und die Muslime) immer wieder Hürden aufgelegt werden.

-        trotz aufklärender Diskussionen ist das Kopftuch der muslimischen Frauen wieder und wieder Anlass, sie trotz ihr Kompetenz aus dem Arbeitsleben auszuschließen (Lehrer, Verkäufer, Ärzte, Krankenschwester).

-        es fehlt immer noch an gegenseitiger Akzeptanz, um den anderen so zu akzeptieren und zu respektieren, wie er ist (bewusst benutze ich nicht das Wort Toleranz, es soll keine Duldung sein, sondern Akzeptanz),

 

Eine Äußerung, die mich auf einer meiner Vortragsveranstaltungen schockierte, war die Behauptung eines Pastoren: "Wir können mit Muslimen keinen Dialog führen, weil ihr Gott anders ist als unser. Er ist ein strafender und grausamer Gott, der keine Liebe für Seine Geschöpfe empfindet."  Ähnlich dieser Einstellung gibt es leider auch bei Muslimen Menschen, die sagen: "Christen sind keine Monotheisten, weil sie an drei Götter glauben, mit ihnen können wir kein Gespräch führen." Die zwei beispielhaft aufgeführten Aussagen lassen erkennen, warum trotz jahrelanger Gespräche die wünschenswerte Annäherung noch nicht erreicht worden ist.

Liegt der Grund für diese fehlende Bereitschaft zur Akzeptanz in tief verwurzelten Vorurteilen? Sind es die kriegerischen Auseinandersetzungen im Laufe der Geschichte, die uns auseinanderhalten? Oder ist es die Instrumentalisierung der Religion , die uns das Menschliche und Ideelle vergessen lässt?

Zweifelsohne sind es gesellschaftliche, politische, persönliche und auch theologische Gründe, die uns trotz unserer Gemeinsamkeiten von einander trennen. Es liegt an uns, die in diesem Land zusammenleben, die trennenden und verbindenden Elemente aufzuarbeiten, wenn wir ehrlich und aufrichtig sein wollen - in unserer Religion, dem Schöpfer gegenüber und Seinen Geschöpfen - auch und erst recht , wenn sie verschieden und andersgläubig sind.

Mit dem Willen zum Dialog und zur Integration ist auch die Bereitschaft zur Organisation und Vernetzung der Muslime und die Nutzung der modernen Medien gewachsen. So ist 1994 der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" gegründet worden, über den man - wie auch über andere islamische Vereine und Institutionen- im Internet folgende Selbstdarstellung nachlesen kann:

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist ein Spitzenverband der islamischen Dachorganisationen in Deutschland. Er versteht sich als Diskussions - und Handlungsebene seiner Mitglieder und nimmt die Aufgabe eines Dialog - und Ansprechpartners für den deutschen Staat, die Verwaltung und anderen Gruppen der Gesellschaft wahr. Er will die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder vor den Behörden vertreten und ihre Rechte, die ihnen als Religionsgemeinschaft zustehen, in ihrem Namen verlangen.

Auch die muslimischen Frauen sind seit einigen Jahren aktiv und versuchen ihren eigenen Weg zu finden. So entstanden in den letzten Jahren Frauenorganisationen, die in verschiedenen Bereichen tätig sind. Als Mitbegründerin einer dieser Organisationen möchte ich zum Schluss kurz darüber  berichten.

HUDA-Netzwerk für muslimische Frauen ist seit 1996 ein eingetragener Verein. Die Mitglieder sind hauptsächlich deutsche muslimische Frauen. Wir haben mit der Herausgabe einer deutschsprachigen Zeitschrift begonnen, die 5 mal im Jahr erscheint. Sie soll ein Forum für muslimische Frauen sein und ihnen die Möglichkeit verschaffen, über ihre Erfahrungen und Belange zu berichten. Das Ziel war am Anfang,  die muslimischen Frauen zu motivieren über Themen  zu sprechen, die für sie in dieser Gesellschaft wichtig sind, sich darüber auszutauschen und sich zu informieren.

Der Verein arbeitet zur Zeit mit anderen Frauenorganisationen zusammen; darunter sind sowohl muslimische als auch andere Frauenorganisationen, die sich für die Rechte der Frauen auf der ganzen Welt einsetzen, z.B. Terre des Femmes, die sich u.a. für die Abschaffung der Frauenbeschneidung einsetzt.

Seit einem Jahr haben wir in Zusammenarbeit mit dem Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik eine Qur'an - Werkstatt aufgebaut, in der Kinder erfahren, wie sie mit dem Qur'an arbeiten können.

Die Zeitschrift ist heute nicht mehr ausschließlich ein Podium zum Austausch von Erfahrungen, sie beinhaltet auch aktuelle Themen, die für alle Menschen wichtig sind; diese Themen werden aus  islamischer Sicht dargestellt.

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Hamideh Mohagheghi ist Juristin aus dem Iran und lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Nach einer islamischen Ausbildung in Hamburg arbeitet sie in verschiedenen Arbeitskreisen zum interkulturellen und interreligiösen Dialog. Außerdem ist sie Vorstandsmitglied von „HUDA - Netzwerk für muslimische Frauen e.V.“

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