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3. Die Auseinandersetzung mit der BâtinÎya

 

Während seiner Lehrtätigkeit in Baghdâd beschäftigte sich Ghazâlî nicht nur mit der Philosophie, sondern auch mit den Lehren der Bâtinîya. 'Bâtinîya' ist eine andere Bezeichnung für die Bewegung der Ismâ’îlîya. Neben dem Begriff 'Bâtinîya', der von bâtin (das Innere) abgeleitet ist, benutzt Ghazâlî auch die Bezeichnung 'Ta'lîmîya', abgeleitet von ta'lîm (Unterweisung). Im Munqidh präsentiert er die Bâtinîya als eine der vier Gruppen, deren Lehren er im Zuge seiner Suche nach Wahrheit studiert (Munqidh, S.15). Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß er ernsthaft daran dachte, bei der Bâtinîya fündig zu werden. Wie bereits erwähnt, ist der Munqidh nicht strikt autobiographisch, sondern schematisch zu verstehen. Ghazâlîs Beschäftigung mit dieser Gruppe erfolgte aus anderen Gründen. Falls er ein persönliches Interesse hatte, ihre Lehren eingehender zu studieren, so war dies der Wunsch zu verstehen, warum die Bâtinîya für so viele Menschen interessant war. Um dieser Frage nachzugehen, soll die Entwicklung der Ismâ’îlîya in kurzen Zügen dargestellt werden.

 

3.1. Die Entwicklung der Ismâ’îlĂŽya

Die Ismâ’îlîya entstand um das Jahr 148/765, dem Todesjahr des alidischen Imâms Dscha'far as-Sâdiq. Der Grund für ihre Abspaltung von den Schî'iten waren Streitigkeiten um die Nachfolge des Imâms.[38] Sie erhielten ihren Namen von dem ersten Sohn des Imâms, Ismâ'îl, den sie im Gegensatz zur Mehrheit der Schî'iten anerkannten. Über ihre weitere Geschichte ist wenig bekannt, sie wurden jedoch gegen Ende des 2./8. Jahrhunderts sehr einflußreich, woraus im Jahr 296/909 die Etablierung des Kaliphats der Fâtimiden, einer aus der Ismâ’îlîya hervorgegangenen Dynastie im heutigen Tunesien resultierte. Im Gegensatz zu anderen lokalen Dynastien erkannten die Fâtimiden das 'abbâsidische Kaliphat aufgrund ihrer Konzeption des unfehlbaren Imâms als Führer der Gemeinde nicht an. Sie gingen stattdessen davon aus, daß ihr Imâm der rechtmäßige Führer der gesamten islamischen Welt sei, und sandten Agenten (dâ'î) aus, die ihre Lehre verbreiteten und dabei besonders Kontakt zu unzufriedenen Bevölkerungsschichten suchten, um diese für sich zu gewinnen.

   Die Ismâ'ĂŽliten gehen davon aus, daß der Koran sowohl eine äußere, als auch eine innere, esoterische Bedeutung hat, die erst gefunden werden muss. Diese esoterischen Bedeutung (bâtin, d.h. das Innere) muß keine Ähnlichkeit mit der äußeren Bedeutung haben und ist nur durch die Interpretation des unfehlbaren Imâms zu erfahren. So kĂśnnten z.B. mit Paradies und HĂślle bestimmte Menschen gemeint sein.[39] Auf diese Weise war es mĂśglich, dem Koran oberflächlich treu zu bleiben, während gleichzeitig dafĂźr gesorgt war, daß die Aussagen des Korans kein Hinderniss fĂźr die Autorität des Imâms darstellen, da ja nur er in der Lage sei, die innere Bedeutung zu verstehen. Die Anhänger der Ismâ’îlĂŽya organisierten sich in verschiedenen Graden, von denen nur die obersten einen umfassenderen Einblick in die eigentlichen Lehren der Bewegung erhielten. FĂźr die unteren Grade stellte man die Lehren so dar, daß sie sich nicht mehr sehr von dem unterschieden, was sie bereits glaubten. So konnten den sunnitischen Untertanen des fâtimidischen Kaliphats die ismâ’îlitischen Lehren der sunnitischen Orthodoxie nicht unähnlich erscheinen, es war aber auch mĂśglich, sie an den Glauben von Anhängern nicht-islamischer Religionen anzupassen, wie z.B. den Zoroastriern.[40]

   In Persien wurde die Ismâ’îlĂŽya durch ihre verstärkte Propagandatätigkeit, vor allem von Hasan Ibn as-Sabbâh zu einer ernstzunehmenden Bedrohung fĂźr die seldschukische Regierung, die schließlich auch zu einer militärischen Konfrontation fĂźhrte. 483/1090 errang Hassan durch eine List die Festung AlamĂťt, deren Besetzung der Anfang einer persisch-ismâ’îlĂŽtischen Revolte gegen die Seldschuken war. 484/1091-92 entsandte Hassan einen dâ’î in seine Heimat Quhistân, der dort einen Aufstand gegen die seldschukische Herrschaft anzettelte. Der Sultan Malik Šâh ließ schließlich auf Anraten des Wezirs Nizâm al-Mulk Truppen gegen die Ismâ’îlĂŽya aussenden, allerdings fand diese Aktion ein schnelles Ende nach der Ermordung Nizâm al-Mulks im Ramadân 485/Oktober 1092 durch einen Anhänger Hasans und dem kurz darauf folgenden Tod des Sultans Malik Šâh.[41]

   Neben der militärischen Auseinandersetzung fand auch eine ideologische Konfrontation statt. Hassan bn. as-Sabbâh verstärkte noch die Rolle des unfehlbaren Imâms, indem er betonte, daß dieser die einzige Quelle jeglicher Wahrheit sei. Die Anstrengungen, welche die 'Ulamâ' unternahmen, um Antworten zu verschiedenen Fragen zu finden (idschtihâd, selbständige Meinungsbildung), wĂźrden dagegen nur zu Meinungsunterschieden fĂźhren. Dies war ein Angriff auf die Religionsgelehrten, dem diese kaum etwas entgegensetzen konnten, da der Vorwurf aufgrund der Vielfalt der Schulen und Richtungen innerhalb des sunnitischen Islams tatsächlich zutreffend war. Das Versprechen einer einheitlichen Gemeinschaft, die von einem Imâm gefĂźhrt wird, mußte fĂźr viele Muslime, die aus verschiedenen GrĂźnden unzufrieden waren, sehr ansprechend sein. Es war also aus der Sicht der Seldschuken, wie auch aus der der Sunniten im allgemeinen, geboten, der Ismâ’îlĂŽya auch auf theologischem Terrain entgegenzutreten.

 

3.2. GhazâlÎs Streitschrift gegen die BâtinÎya

Ghazâlî war sicherlich ebenfalls beunruhigt durch die Ausbreitung der ismâ’îlitischen Lehren, so daß es ihm wohl nicht ungelegen kann, daß der Kalif al-Mustazhir ihm den Auftrag gab, eine Widerlegung der Bâtinîya zu schreiben. Diese erfolgte in der Schrift Fadâ'ih al-Bâtinîya (Die Bloßstellung der Bâtinîya).[42] Das Buch muß zwischen 483/1092, dem Jahr als al-Mustazhir Kalif wurde, und 488/1095, als Ghazâlî Baghdâd verließ, geschrieben worden sein. Auch in dieser Auseinandersetzung folgte Ghazâlî seiner Vorgehensweise, zunächst einmal die Argumente seiner Gegner zu sammeln und darzustellen. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, der Bâtinîya in die Hände zu arbeiten, weil sie selbst es nicht geschafft hätten, ihre Lehre so deutlich darzustellen (s. Munqidh, S.28).

   In einem großen Teil des Werkes setzt sich GhazâlĂŽ mit der bâtinĂŽtischen Doktrin des Unterrichts (ta'lĂŽm), also der Unterweisung durch den allein authorisierten, unfehlbaren Imâm auseinander. Es geht ihm vor allem darum zu zeigen, daß dies keine praktikable LĂśsung darstellt, da es vĂśllig unmĂśglich ist, sich in jedem Zweifelsfall an den Imâm oder an einen seiner Vertreter zu wenden.[43] Auch in seiner Autobiographie setzt er sich noch einmal mit dieser Frage auseinander, wobei es aber einen wichtigen Unterschied gibt: Während er in Fadâ'ih al-BâtinĂŽya dem Kalifen ein Kapitel widmet, indem er den 'abbâsidischen Herrscher als den rechtmäßigen Kalifen gegenĂźber dem fâtimidischen Imâm in Kairo darstellt, fehlt etwas vergleichbares im Munqidh. Hier erkennt er die Notwendigkeit eines unfehlbaren Lehrers an, welcher jedoch der Prophet selbst ist. FĂźr GhazâlĂŽ kann Unfehlbarkeit nämlich nur dann anerkannt werden, wenn sie auf die direkte Vermittlung von Gott zurĂźckgeht, wie es nur beim Propheten der Fall ist: "Ghazali dĂŠlimite (...) le domaine prĂŠcise de la certitude absolue: les deux paroles de la schahÁda, considĂŠrĂŠe dans sa teneur sunnite. Le prophète seul y est acceptĂŠ comme maĂŽtre infaillible."[44] Auf den mĂśglichen Einwand der BâtinĂŽten, daß der Prophet aber tot sei, entgegnet er, daß der Imâm der BâtinĂŽya verborgen und deshalb ebenso wenig zu erreichen sei. Da der Unterricht (die islamische Lehre) jedoch bereits vervollkommnet ist, sei die Anwesenheit eines Lehrers nicht mehr nĂśtig (s. Munqidh, S.29).[45]

   Watt geht davon aus, daß GhazâlĂŽ zu dem Zeitpunkt als er den Munqidh schrieb, sich nicht mehr mit der bloßen Kritik seiner Gegner zufrieden gab, sondern deren System etwas entgegen setzen wollte. Es sei ihm deutlich geworden, daß beim Erfolg der BâtinĂŽya der Wunsch der Menschen nach einem charismatischem FĂźhrer eine große Rolle spielte. Mit der Betonung der Rolle des Propheten als FĂźhrer der Gemeinde habe er versucht, auf dieses BedĂźrfniss einzugehen.[46] Noch ein weiterer Hinweis von Watt ist interessant: GhazâlĂŽ unternimmt weder den Versuch, den abbasidischen Kalifen als charismatischen FĂźhrer aufzubauen (was aufgrund dessen realer Machtposition auch nicht gelungen wäre), noch den, der Gruppe der 'Ulamâ' irgendeine FĂźhrungsrolle zuzusprechen.[47] Wenn er gewollt hätte, hätte er den Ausspruch des Propheten zitieren kĂśnnen, der besagt, daß die Gelehrten die Erben der Propheten seien - er tut dies jedoch nicht. GhazâlĂŽ selbst hatte keine sehr hohe Meinung von den Gelehrten, und ihre Zerstrittenheit machte einen FĂźhrungsanspruch unmĂśglich.

   Jabre, der sich zunächst mit GhazâlĂŽs Verhältnis zur BâtinĂŽya auseinandersetzte, um seinen Aufbruch aus Baghdâd zu erklären[48] (s.u.), nahm dieses Verhältnis schließlich zur Grundlage seines gesamten Denkens.[49] Die Auseinandersetzung mit der BâtinĂŽya sei das zentrale Thema in GhazâlĂŽs Werk: Von 1093 an sei sein einziges Ziel gewesen, an die Stelle des unfehlbaren Imâms der BâtinĂŽya den Propheten einzusetzen, und dadurch ihre Lehre zu widerlegen. Mit dieser Sicht wird jedoch die Rolle, welche die Auseinandersetzung mit der BâtinĂŽya fĂźr GhazâlĂŽ spielte, deutlich Ăźberbewertet. Zwar spricht er an einigen Stellen vom Propheten als dem unfehlbaren Imâm, diese Idee wird jedoch in seinem wichtigsten dogmatischen Werk Al-iqtisâd fi l-i’tĂŽqâd (Das richtige Maß im Glauben) nicht erwähnt und spielt auch in seinem Hauptwerk Ihyâ' 'ulĂťm ad-dĂŽn (Die Wiederbelebung der religiĂśsen Wissenschaften) keine Rolle.[50]

Teil 4: GhazâlÎ und der Kalâm

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[38] Farhad Daftary (Ed.): Mediaeval Isma'ili History and Thought. Cambridge: University Press 1996, S.1.

[39] Watt:Muslim Intellectual, S.81.

[40] s. ebd. S.75.

[41] Dies war eines der ersten Attentate der berßchtigten Assasinen, Anhängern der NizârÎa, einer Bewegung, die von Hasan bn. As-Sabbâh begrßndet wurde. Die NizârÎa hat sich aufgrund von Streitigkeiten um die Nachfolge des fatimidischen Kaliphen in Kairo abgespalten und hat ihren Namen nach dem von ihnen anerkannten Sohn des Kaliphen, Nizâr. S. Farhad Daftary: "Hasan-i Sabbâh and the origins of th NizârÎ movement". In: Mediaeval Isma'ili History and Thought ed. by F. Daftary, Cambridge: University Press 1996, S.181-204.

[42] Der vollständige Titel lautet: Fadâ'ih al-BâtinÎya wa fadâ'il al-MustazhirÎya.

[43]  s. Watt:Muslim Intellectual, S.84.

[44] Jabre, Farid: La Notion de Certitude selon Ghazali. Dans ses Origines Psychologiques et Historiques. Paris: Librairie Philosophique J.Vrin 1958 (Études Musulmanes VI), S.376.

[45] Mit dem Hinweis auf den Koranvers 5:3: Heute habe Ich eure Religion vervollkommnet und meine Gnade an euch vollendet.

[46] Watt:Muslim Intellectual, S.84,85.

[47] ebd.S.85.

[48] s. S. 23, 24.

[49] Farid Jabre: "La Biographie et l'oeuvre de Ghazali reconsidérées à la lumière des ÓabaqÁt de Sobki". In: Mélanges de l'Institut Dominicain d'Études Orientales du Caire, 1954, S.73-102.

[50] Watt: Muslim Intellectual, S. 141.

 

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